Am 28.8. fand der von Rassismusfreies Transdanubien organisierte Rundgang „Der Goethehof – Leben zwischen Politik, Kultur und Alltag“ mit Ernst Strouhal statt, der selbst im Goethehof aufgewachsen ist. 21 Personen waren gekommen, um den Ausführungen zu lauschen, die nicht nur Bekanntes, sondern auch viel Neues boten. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an Ernst Strouhal, der sein Wissen mit uns geteilt und die Führung kostenlos gemacht hat.
Der Goethehof, an den heute das Vienna International Centre (die UNO-City für Einheimische) angrenzt und in dessen Umgebung Hochhäuser in den Himmel ragen, war früher ein eigener Mikrokosmos, in dem jeder jeden kannte und eine kleinmaschige Nachbarschaft existierte.
Umgeben war er vom Bretteldorf, einer Art Slum nach heutigen Begriffen und vom Inundationsgebiet, das bei Hochwasser überschwemmt war. Es gab wenige Industriebetriebe, die Reichsbrücke verband die Bewohner_innen auch des Goethehofs mit dem rechts der Donau gelegenen Teil Wiens.
Im historischen Teil der Führung war über den Goethehof zur Zeit seiner Eröffnung 1932 und die Organisation des Lebens in dem von Hugo Mayer u.a. als „Superblock“ konzipierten Bau zu erfahren. Die Tore an allen Seiten wurden zu einer bestimmten Uhrzeit versperrt, die Bewohner_innen sollten sich nachts nicht auf der Straße herumtreiben. Für Leute, die nach 22 Uhr nach Hause kamen, gab es einen Klingelknopf beim Tor auf der Seite der Schödlbergergasse, wo Zuspätkommende den Hausbesorger herausläuten und ihm eine Sperrgebühr entrichten mussten. Die Wohnungsvergabe erfolgte nach einem strengen Punktesystem, Mitglied in der SDAP zu ein, war dabei kein Nachteil.
Die Fenster besaßen seitlich Halterungen, an denen am 1. Mai die Fahlen der SDAP mit den drei Pfeilen wehten. Der ganze Goethehof war an diesem Tag ein Fahnenmeer, schildern Zeitzeug_innen. Im Zuge von Renovierungsarbeiten in den 1970er Jahren wurden die Halterungen entfernt, sodass
heute kaum mehr jemand demonstriert, dass er_sie ein_e stolze_r Sozialdemokrat_in ist.
Gleichzeitig sollte das Gebäude von außen nicht einnehmbar sein und Schutz gegen Angriffe durch paramilitärische Heimwehrtrupps bieten. Nach innen hin bot der Goethehof seinen Bewohner_innen menschenwürdige Wohnungen, 785 an der Zahl, Gemeinschaftseinrichtungen wie Tröpferl- und Brausebad, Kindergarten, Konsum, Tuberkulosestelle, Bibliothek etc.
Interessant war auch zu erfahren, dass sich die Bewohner_innen gegen das Konzept der Gemeinschaftsküchen und zugunsten von Küchen in den einzelnen Wohnungen entschieden.
Gleich links vom Haupteingang ist die Stiege, an der im Februar ’34 Annie Haider saß und mit dem Maschinengewehr den Rückzug der Kämpfer des Schutzbundes deckte, während Godwin von Brumovski mit einem Bundesheerflugzeug über dem Goethehof kreiste und versuchte sie zu orten.
Vor dem Kindergarten hörten wir die Geschichte von Friedl Dicker-Brandeis und wie die Nazis nach der Machtergreifung die von ihr und ihrem Kollegen Franz Singer gestaltete Innenausstattung des Kindergartens zertrümmert haben.
Wo sich heute die Bücherei und ehemals die Bibliothek befand, war das Lokal, in dem die Nazis sich trafen.
Auch erfuhren wir von Marie Toppeiner, die sowjetische Kriegsgefangene unter Einsatz ihres Lebens mit Brot versorgte.
Im Gegensatz zu den kleineren Nebenhöfen wirkt der große Innenhof sehr kahl und war es wohl schon längere Zeit: Früher parkten dort Autos, heute sind sie in eine Tiefgarage unter dem Areal des Innenhofes verbannt. So ist eine Fläche entstanden, auf der keine Bäume wurzeln können.
Auf der Wiese hinter dem Goethehof blickten wir über das Kaiserwasser auf die andere Seite der Alten Donau mit ihren Luxuswohnungen und fragten uns, wie wohl die Bewohner_innen des Goethehofs angesichts dessen ihre heutigen Wohnverhältnisse reflektieren.
Einen stimmungsvollen Ausklang fand unser Rundgang im Werkl, dem wir an dieser Stelle für die Gastfreundschaft danken wollen.